Zur Lage

Gestern Abend wurde ich auf das relative Versiegen dieses meines Blogs in den letzten Monaten angesprochen. Es hat mich sehr gefreut, dass er vermisst wurde. Meine Familienpflichten werden derzeit nicht geringer. Trotzdem soll dieser Blog möglichst lebendig bleiben. In der Kürze liegt die Würze.

Heute habe ich mir überlegt, über welche kirchenpolitischen Themen der letzten drei Monate ich hier noch nicht geschrieben habe. Tatsächlich hat mein Blog in diesem Sinne, wenn man es grundlegend betrachtet, „nichts verpasst“. Es setzten sich lediglich Entwicklungen fort, die hier im Prinzip alle bereits kommentiert wurden. Das gilt bis einschließlich der gestrigen Meldung einer Rekord-Kirchenaustritts-Statistik für das vergangene Jahr. Das ist symptomatisch für die jüngste katholische Stagnation, die wie eine Zwischen-Eiszeit während einer Warmzeit anmutet.

Alle hoffen auf „den Franziskus-Effekt“. Diese Haltung empfinde ich zunehmend als eine Bankrott-Erklärung. Franziskus selbst hofft nicht auf den Franziskus-Effekt. Er fordert zu etwas anderem auf.

Alle fragen sich: Worum geht es ihm im Kern eigentlich? Hier der Versuch einer Antwort.

Die katholische Kirche hat das Schicksal aller Großinstitutionen erlitten und ist das Opfer ihrer eigenen Korrektheit geworden.

Es gehört mit zu den rätselhaftesten Dilemmata der Menschenwelt, dass Korrektheit in letzter Konsequenz in tödlicher Weise unbeweglich macht. Der amtliche Gegenwarts-Katholizismus ist zu Tode korrekt.

Vielleicht mit das Wichtigste an Franziskus‘ bisherigem Pontifikat waren deshalb seine fast schon zahlreichen Äußerungen, die aus der Perspektive amtskatholischer Super-Korrektheit schreckenerregend „daneben“ waren. Der arme Vatikansprecher Lombardi ist inzwischen zum Gesicht dieser Korrektheit und dieses Schreckens geworden.

Keine Frage: Heilige Stuhlfinanzen gehören geklärt und priesterliche Missbräuche aller Art rigoros ausgemistet. Andererseits: Wohl der hehren Institution, die überhaupt noch ihre Skandale hat. Bei den anderen kommen sie nämlich lediglich nicht ans Licht.

Wenn es so etwas wie einen Franziskus-Effekt überhaupt gibt, dann muss er sich auf das Merkmal der gewagten Unkorrektheit beziehen, das dem schrägen Vogel aus Assisi als erstem Heiligen der Kirchengeschichte so markant eignet.

Die katholische Kirche in Deutschland entwickelt sich heute mehr und mehr zu einer Veranstaltung von Vorbildsbürgern. Und je bußfertiger diese theologisch korrekt betonen, sie bildeten eine „Kirche von Sündern“, desto vorbildlicher sind sie. Sie wissen, dass sie Sünder sind; aber sie wollen unter allen Umständen korrekte Sünder sein.

Fachlich-theologische Fragwürdigkeiten in einzelnen vertretenen Positionen hin oder her: Sogar die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ besteht bis dato weit überwiegend aus paradigmatischen „Korrekt-Katholiken“. Und manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht genau das der Grund ist, weshalb diese Bewegung weniger öffentliche Wirkung erzielt, als sie meiner Erwartung nach eigentlich erzielen müsste.

Mit „Theologie der Sünde“ sind wir längst hinreichend aufgerüstet. Was wir endlich brauchen, ist eine neuartige „Theologie der Unkorrektheit“. Bisweilen denke ich, dass es uns nur unter dieser Voraussetzung überhaupt gelingen kann, als Katholiken und als Kirche wieder lebendig zu werden.

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