Spendenaufrufe

Jetzt hat wieder die Zeit der vorweihnachtlichen Spendenaufrufe begonnen, die mich jedesmal in ein schwieriges Dilemma bringen: Einerseits bewegt mich die Vorstellung, „mit fünf Euro“, wie es immer heißt, eine Krankheit zu heilen, einen Schulbesuch zu ermöglichen oder gar buchstäblich ein Leben zu retten. Andererseits ist die kritische Frage, die sich heute dabei stellt, dank vergangener Skandale mit der Folge entsprechender Transparenz-Initiativen gar nicht mehr so sehr die, ob mein Geld dabei sein Ziel auch wirklich sinnvoll erreicht; sondern die viel grundsätzlichere des bleibenden und immer größer werdenden Skandals, dass all die Jahrzehnte, die wir unser gängiges Modell von „Entwicklungshilfe“ nun schon praktizieren, zu keinen hinreichend effektiven strukturellen Verbesserungen in den betreffenden Ländern geführt haben, und überdies, dass wir mit unseren kleinen Privatspenden „bezahlen“ sollen für das, was die Hauptakteure und Hauptverantwortlichen des gegenwärtig herrschenden gnadenlosen globalen Kapitalismus nicht nur in der Vergangenheit verschuldet haben, sondern munter immer noch weiter verschulden. „Kein Mensch muss heute hungern“, belegt Jean Ziegler glaubhaft. So gesehen trägt der gutherzige deutsche Privatspender mit seinem finanziellen Engagement perverser Weise noch dazu bei, das globale System der Ungerechtigkeit und Ausbeutung aufrecht zu erhalten und zu zementieren. Eine wahrhaft tragische Situation. Denn als Christ muss einem gewiss zunächst und vor allem bewusst sein, dass die heute Hungernden nichts von irgendwelcher „Politisiererei mit Blick auf morgen“ haben. Aber es ist ein reeller und daher schwer bedrückender Gedanke, dass jede Hilfe, die ich mit meiner vorweihnachtlichen Spende an humanitäre „NGO’s“ einem Hungernden bringe, strukturell zwei oder drei neue Fälle von Hunger erzeugt – eben wegen des „N“ in „NGO“. Als Denkschritt einer provisorischen Moral kann in diesem Dilemma wohl nur helfen, die Realität der genauen Zuordnung „meiner fünf Euro“ zu einem einzelnen, bestimmten, konkreten Fall von Hunger zu hinterfragen. Die Antwort fällt relativ leicht: Diese „Propaganda“-Realität ist schlichtweg nicht gegeben, in keiner Weise; sie kann gar nicht sein. Daraus ergibt sich als wichtigste Reaktion auf die Spendenaufrufsflut der Vorweihnachtszeit, das vielfache materielle Elend auf der Welt nie zu vergessen, und in allem, was wir tun, die globale Not zu bedenken, und nicht nur in den paar Minuten, die es dauert, eine gewissensberuhigende Spendenüberweisung auszufüllen.

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